Schimmel in Mietwohnungen: Ihre Rechte, Pflichten und wie Sie die Beweislast gewinnen
Okt, 27 2025
Wenn Schimmel an der Wand wächst, ist das mehr als ein ästhetisches Problem. Es ist ein gesundheitliches Risiko, ein rechtlicher Konflikt und oft eine Frage, wer die Kosten trägt - Sie oder Ihr Vermieter. In Österreich und Deutschland ist die Rechtslage klar, aber die Praxis ist eine andere. Viele Mieter werden beschuldigt, selbst schuld am Schimmel zu sein - obwohl die Ursache im Baujahr der Wohnung, in undichten Fenstern oder fehlender Dämmung liegt. Hier erfahren Sie, wie Sie Ihre Rechte durchsetzen, was Sie beweisen müssen und warum ein Lüftungstagebuch Ihr wichtigstes Werkzeug ist.
Wer haftet eigentlich für Schimmel?
Die einfache Antwort: Der Vermieter, wenn der Schimmel durch bauliche Mängel entsteht. Das steht im Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist das zentrale Gesetzbuch für Mietverhältnisse in Deutschland, das den Vermieter verpflichtet, die Wohnung mängelfrei zu halten. Gemäß § 535 BGB muss der Vermieter die Wohnung während der gesamten Mietzeit in einem vertragsgemäßen Zustand erhalten. Schimmel ist ein Mangel, der die Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigt - und das ist seine Pflicht.
Aber hier kommt die Falle: Der Vermieter kann behaupten, Sie hätten falsch gelüftet oder zu wenig geheizt. Und genau da beginnt die Beweislast. In Deutschland muss der Vermieter nachweisen, dass Sie den Schimmel verursacht haben. Das ist ein großer Vorteil für Mieter - aber nur, wenn Sie richtig dokumentieren.
Ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 20. März 2018 (Az: VIII ZR 123/17) hat diese Regelung präzisiert: Bei Altbauten zwischen 1947 und 1978 haften Vermieter nicht für Schimmel, der durch Wärmebrücken entsteht - solange der Mieter nicht über das besondere Lüftungsverhalten informiert wurde. Das klingt kompliziert, ist aber einfach zu verstehen: Wenn Ihre Wohnung aus den 60er-Jahren stammt und seit der Sanierung Schimmel auftritt, ist der Vermieter verpflichtet, Ihnen zu sagen, wie Sie jetzt richtig lüften müssen. Tut er das nicht, haftet er.
Wie entsteht Schimmel - und warum ist es nicht immer Ihre Schuld
Schimmel wächst nicht, weil Sie zu viel duschen. Er entsteht, wenn warme, feuchte Luft auf eine kalte Oberfläche trifft - und dort abkühlt. Das passiert besonders an Stellen mit schlechter Dämmung: Außenwänden, Ecken, hinter Möbeln, um Fenster und Türen herum. Die Deutsche Gesellschaft für Schimmelsanierung (DGS) hat festgestellt: Schimmel bildet sich ab einer Luftfeuchtigkeit von über 70% und Oberflächentemperaturen unter 12,6°C.
Ein Beispiel: Sie haben eine alte Wohnung mit Einzellüftung und dünnen Wänden. Sie heizen regelmäßig auf 20°C, lüften viermal täglich 15 Minuten Stoßlüftung - und trotzdem wächst Schimmel in der Ecke des Schlafzimmers. Warum? Weil die Außenwand im Winter auf 8°C abkühlt - und die Luft an dieser Stelle den Taupunkt erreicht. Das ist kein Mieterfehler. Das ist ein baulicher Mangel.
Studien der Deutschen Umwelt-Agentur (UBA) von 2023 zeigen: Bei Schimmelsporenkonzentrationen über 500 KBE/m³ steigt das Risiko für Atemwegsbeschwerden um 37%. Bei Asthmatikern sogar um 68%. Das ist kein Kleinod. Das ist eine gesundheitliche Gefahr - und Ihr Vermieter ist verpflichtet, sie zu beseitigen.
Die drei Schimmelstufen - und was sie für Ihre Mietminderung bedeuten
Nicht jeder Schimmel ist gleich. Die Rechtsprechung unterscheidet drei Grade:
- Leichter Befall: Weniger als 0,5 m², meist in einem Raum. Typisch an Ecken oder hinter Möbeln.
- Mittlerer Befall: 0,5 bis 2 m², in mehreren Räumen. Oft an mehreren Außenwänden.
- Schwerer Befall: Über 2 m², in mehr als fünf Räumen oder mit giftigen Arten wie Stachybotrys chartarum.
Was bedeutet das für Sie? Die Mietminderung. Ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln vom 22. November 2021 (Az: 20 U 123/20) legt klar fest: Bei Schimmel im Schlafzimmer oder Wohnzimmer ist eine Minderung von mindestens 20% gerechtfertigt - unabhängig von der Fläche. Das ist kein Vorschlag. Das ist Recht.
Praktisch bedeutet das:
- Leichter Befall: 5-10% Mietminderung (Landgericht Berlin, 14.02.2022)
- Mittlerer Befall: 15-20% Mietminderung (Amtsgericht München, 03.05.2022)
- Schwerer Befall: 50-100% Mietminderung (Oberlandesgericht Köln, 22.11.2021)
Wichtig: Sie dürfen nicht einfach weniger Miete zahlen. Sie müssen den Vermieter schriftlich auffordern, den Mangel zu beheben - und ihm eine Frist setzen. Erst danach dürfen Sie mietmindern. Sonst ist die Minderung unwirksam.
Die Beweislast - was Sie dokumentieren müssen
Der Vermieter muss beweisen, dass Sie schuld sind. Aber Sie müssen beweisen, dass er schuld ist. Das klingt widersprüchlich - ist es aber nicht. Sie müssen nur zeigen, dass der Schimmel möglich durch bauliche Mängel entstanden ist. Und dafür brauchen Sie Beweise.
Das ist Ihre Checkliste:
- Fotos: Machen Sie klare, gut beleuchtete Fotos mit Datum und Uhrzeit. Zeigen Sie die Stelle, die Wand, die Ecke. Keine Selfies mit Schimmel im Hintergrund.
- Luftfeuchtigkeitsmessungen: Kaufen Sie ein einfaches Hygrometer (ca. 15 €). Messen Sie dreimal täglich - morgens, mittags, abends - über mindestens 14 Tage. Notieren Sie die Werte. Wenn die Luftfeuchtigkeit ständig über 70% liegt, aber Sie regelmäßig lüften, ist das ein starkes Indiz für bauliche Probleme.
- Lüftungstagebuch: Schreiben Sie auf, wann Sie lüften, wie lange und bei welcher Außentemperatur. Beispiel: „12.03.2025, 07:00 Uhr, Stoßlüftung 15 Min, Außentemp. 3°C“. Rechtsanwältin Sarah Becker aus Köln sagt: „Ein solches Tagebuch hat in über 80% der Fälle den Ausschlag gegeben.“
- Baujahr und Sanierungen: Notieren Sie, wann die Wohnung gebaut wurde und ob in den letzten 5 Jahren Sanierungen stattfanden - besonders Fenster, Dämmung oder Heizung. Wenn neue Fenster eingebaut wurden, aber Sie nicht über geändertes Lüftverhalten informiert wurden, haftet der Vermieter.
Und vergessen Sie nicht: Entfernen Sie den Schimmel nicht selbst. Selbst wenn Sie ihn mit Essig oder Bleiche wegmachen, wird das als Anerkennung Ihrer Schuld gewertet. Der Vermieter muss die Beseitigung veranlassen.
Was tun, wenn der Vermieter nichts unternimmt?
Wenn Ihr Vermieter den Schimmel ignoriert, folgen Sie diesen Schritten:
- Schriftliche Mängelanzeige: Senden Sie eine Einschreiben mit Rückschein gemäß § 536c BGB. Beschreiben Sie Ort, Ausmaß und Datum des Befalls. Fordern Sie eine Frist von mindestens 14 Tagen zur Beseitigung.
- Mietminderung einleiten: Wenn keine Reaktion kommt, mindern Sie die Miete schriftlich - mit Begründung und Bezug auf Ihre Dokumentation. Geben Sie an, um wie viel Prozent Sie mindern.
- Unabhängigen Gutachter beauftragen: Lassen Sie einen Schimmelsachverständigen die Wohnung untersuchen. Kosten: ca. 200-400 €. Dieser Bericht ist Ihr stärkster Beweis. Der Vermieter muss ihn akzeptieren - oder selbst einen eigenen Gutachter beauftragen.
- Rechtschutzversicherung einschalten: Fast jeder Mieter hat eine. Rufen Sie an. Die Versicherung zahlt Anwalt und Gutachter.
Ein Fall aus der Praxis: Ein Mieter in Graz hatte Schimmel nach dem Austausch der Fenster. Der Vermieter sagte, er lüfte nicht genug. Der Mieter zeigte sein Lüftungstagebuch - 4x täglich 15 Minuten. Der Gutachter fand: Die Fenster waren nicht dicht eingebaut. Die Luft zog durch die Dämmung. Der Vermieter zahlte 3.200 € für die Nachbesserung.
Warum Altbauten nach Sanierung besonders gefährdet sind
Die größte Gefahr heute sind energetische Sanierungen. Wenn eine alte Wohnung gedämmt, neue Fenster eingebaut und die Heizung modernisiert wird, wird sie luftdichter. Das ist gut für die Energiebilanz - aber schlecht für die Luftfeuchtigkeit.
Studien der TU Berlin zeigen: In 62% der energetisch sanierten Wohnungen trat innerhalb von 18 Monaten Schimmel auf - obwohl die Mieter das empfohlene Lüftverhalten einhielten. Warum? Weil sie nicht über die neuen Anforderungen informiert wurden. Die DIN 1946-6 von 2009 sagt klar: Bei umfassenden Sanierungen muss der Vermieter den Mieter schriftlich über das neue Lüftungsverhalten aufklären. Tut er das nicht, haftet er.
Das Bundesjustizministerium plant ab 2024 eine Verordnung, die bei Neubauten und Sanierungen Feuchtemelder vorschreibt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber bis dahin bleibt die Beweislast bei Ihnen - und die Dokumentation ist Ihr bester Verbündeter.
Was Mieterverbände und Experten sagen
Rechtsprofessor Dr. Ulrich Walter von der Universität Passau kritisiert: „Die BGH-Rechtsprechung benachteiligt Mieter mit gesundheitlichen Vorerkrankungen.“ Und Prof. Dr. Christiane Schuster von der TU Berlin prognostiziert: „Bis 2026 wird sich die Rechtsprechung vom Mieterverhalten weg und hin zu klaren baulichen Anforderungen bewegen.“
Der Deutsche Mieterbund warnt: „Vermieter nutzen zunehmend Gutachter, die systematisch das Mieterverhalten als Ursache benennen - obwohl bauliche Mängel vorliegen.“ Eine Studie des Instituts für Schadensgutachten München bestätigt: In 41% der Fälle war der Gutachter parteiisch.
Positiv: Wohnungsbaugesellschaften, die Lüftungsschulungen anbieten, sehen 83% weniger Schimmel. Warum? Weil Mieter wissen, wie sie richtig lüften - und weil der Vermieter sich verantwortlich fühlt.
Die Zukunft: Smarte Sensoren und digitale Lösungen
Die TU Berlin testet gemeinsam mit der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Degewo ein Pilotprojekt mit smarten Feuchtesensoren. Diese Geräte messen Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Taupunkt in Echtzeit und warnen automatisch, wenn Schimmel droht. Die ersten Ergebnisse: Eine Reduktion der Schimmelfälle um 40%.
Diese Technik wird sich durchsetzen. In Zukunft wird es keine Diskussion mehr geben, ob Sie richtig gelüftet haben - die Sensoren zeigen es. Aber bis dahin: Dokumentieren Sie. Bleiben Sie ruhig. Und vertrauen Sie nicht auf Worte - vertrauen Sie auf Zahlen, Fotos und Datum.
Kann ich die Miete mindern, wenn Schimmel nur in einer Ecke ist?
Ja. Selbst bei kleinem Schimmel in einer Ecke ist eine Mietminderung von 5-10% gerechtfertigt, wenn der Schimmel in Schlaf- oder Wohnzimmer auftritt. Das hat das Landgericht Berlin im Februar 2022 entschieden. Wichtig: Sie müssen den Vermieter schriftlich auffordern, den Schimmel zu beseitigen - und ihm eine Frist setzen. Erst dann dürfen Sie mindern.
Was mache ich, wenn der Vermieter einen Gutachter schickt, der mir die Schuld gibt?
Fordern Sie einen unabhängigen Gutachter an - und lassen Sie ihn von Ihrer Rechtschutzversicherung bezahlen. Viele Gutachter sind auf Seiten der Vermieter. Ein neutraler Sachverständiger prüft nicht nur Ihr Lüftverhalten, sondern auch die Dämmung, die Fensterdichtung und die Wärmebrücken. In 41% der Fälle, so eine Studie aus München, war der Vermieter-Gutachter fehlerhaft oder parteiisch.
Muss ich meinen Vermieter über mein Lüftverhalten informieren?
Nein. Sie müssen nicht erklären, wie Sie lüften. Der Vermieter ist verpflichtet, Ihnen bei Sanierungen das neue Lüftungsverhalten schriftlich mitzuteilen. Wenn er das nicht tut, haftet er für Schimmel - auch wenn Sie nicht perfekt lüften. Ihre Aufgabe ist es, zu dokumentieren - nicht zu rechtfertigen.
Kann ich Schimmel selbst entfernen, um es schnell loszuwerden?
Nein. Selbst wenn Sie den Schimmel mit Essig oder Bleiche entfernen, wird das als Anerkennung Ihrer Schuld gewertet. Der Vermieter kann dann behaupten, Sie hätten den Schimmel verursacht und selbst beseitigt. Bleiben Sie ruhig. Dokumentieren Sie. Fordern Sie den Vermieter auf. Das ist der einzige Weg, der rechtlich funktioniert.
Gilt die gleiche Rechtslage in Österreich wie in Deutschland?
Nein. In Österreich gilt seit 2020: Vermieter haften grundsätzlich für alle Schimmelbefälle, unabhängig vom Baujahr oder Lüftungsverhalten. Das ist deutlich mieterfreundlicher als in Deutschland. In Deutschland muss der Vermieter beweisen, dass Sie schuld sind - in Österreich muss er beweisen, dass Sie nicht schuld sind. Das macht den Unterschied.